Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in den letzten Jahrzehnten hat sich die Gesetzgebung in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiterentwickelt und einige Neuerungen mit sich gebracht, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch abseits des klassischen Familienbildes verbesserte. Als wegweisende Neuerungen galten bisher etwa die Einführung von Elterngeld und Elternzeit und die spätere Flexibilisierung als Elterngeld Plus. Sowohl staatliche Förderungen als auch Verpflichtungen der Arbeitgeber sollten ein Umfeld schaffen, in dem sich Mütter und Väter nicht mehr die Frage stellen müssen sollten, ob Karriere und Arbeit einem Kinderwunsch entgegensteht.
Jedoch blieb ein wichtiger Aspekt bisher außen vor: Stillende Mütter sahen sich damit konfrontiert, dass sie sich nicht sicher sein konnten, ob ihr Arbeitsplatz negative Auswirkungen auf den Stillvorgang hatte oder ob sie neben der Durchführung ihrer Arbeit überhaupt stillen konnten. Das änderte sich am 01.01.2018mit der Neufassung des Mutterschutzgesetzes.
Die Freiheit, Stillen zu können, ist gesundheitsfördernd und zentraler Aspekt von Gleichberechtigung
Stillen sollte sowohl im beruflichen Umfeld als auch im täglichen Leben jederzeit und ohne Barrieren möglich sein. Gestillte Säuglinge werden seltener krank als nicht gestillte, sie leiden unter anderem seltener an Atemwegsinfekten, Durchfallerkrankungen und Übergewicht im späteren Leben. Aber auch Mütter profitieren davon, ihr Kind zu stillen: das Risiko sinkt an Brust- und Eierstockkrebs, Osteoporose, Diabetes Typ 2 oder Übergewicht zu erkranken. Durch die Ausschüttung der Hormone Oxytocin und Prolaktin leiden stillende Mütter weniger unter Stress und sie sind mit ihren Säuglingen mobiler, weil Muttermilch immer verfügbar ist. Darüber hinaus fördert das Stillen die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind. Das alles sind wichtige Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Bisher waren viele Mütter gezwungen frühzeitig auf das Stillen zu verzichten oder unter finanziellen Einbußen Elternzeit zu beanspruchen, weil der Arbeitsalltag nicht mit dem Stillen vereinbar war.
Mit einem sehr hohen weiblichen Anteil des Kabinenpersonals und dem in Bezug auf das Stillen schwierigen Arbeitsplatzes im Flugzeug, ist dieses Thema für uns von besonderem Interesse. Aber auch für Mütter, die im Cockpit beschäftigt sind, stellt sich die Frage, wie Stillen und Arbeit miteinander vereinbar ist.
Rechte von Müttern und Kindern gestärkt
Mit der Neufassung des Mutterschutzgesetzes hat der Gesetzgeber die Rechte von stillenden Frauen am Arbeitsplatz neu geregelt und damit auch die Mitverantwortung der Arbeitgeber für die Gesundheit und Unversehrtheit von Müttern und Kindern hervorgehoben.
Neben verschiedenen Einschränkungen bei der Arbeitsplatzgestaltung haben Arbeitgeber stillende Frauen am Arbeitsplatz auf deren Verlangen während der ersten 12 Monate nach der Entbindung, für Stillpausen freizustellen. Auch über über die ersten 12 Lebensmoate des Kindes hinaus dürfen Arbeitgeber stillende Frauen keine Tätigkeiten ausüben lassen und sie keinen Arbeitsbedingungen aussetzen, die für sie oder Ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellen.
Arbeitgeber haben bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen einer schwangeren oder stillenden Frau alle aufgrund einer hierfür durchzuführenden Gefährdungsbeurteilung erforderlichen Maßnahmen für den Schutz ihrer physischen oder psychischen Gesundheit sowie der ihres Kindes zu treffen. Das bedeutet im Klartext, dass der Arbeitgeber die Verantwortung für die Mutter und das Kind hat.
Was bedeutet das in der Realität von Flugbetrieben?
Seit der Novelle des Gesetzes 2018 sind alle Airlines dazu verpflichtet, im Rahmen einer entsprechenden Analyse zu beurteilen, wie während der Arbeitszeit Stillpausen gewährt werden können und wo Gesundheitsgefahren für Mütter und deren Kinder abgewehrt werden. Wie offensichtlich ist, sind diese Fragen in einem Flugbetrieb nicht einfach zu beantworten.
Mit welcher Dienstplangestaltung kann gewährleistet werden, dass Stillpausen gemacht werden können? Wie kommt die Mutter während des Dienstes zu ihrem Kind? Ist die Qualität der Muttermilch etwa durch ionisierende Höhenstrahlung oder durch mögliche Fume-Events gefährdet? Können sich physische Einflüsse wie Abbremsungen, Erschütterungen oder Turbulenzen negativ auf das Milchdrüsengewebe auswirken? Stellen die Gurte eine Gefahr dar? Das sind Beispiele für Fragen, die es zu beantworten gilt.
Speziell luftfahrtrechtliche Einschränkungen oder Vorgaben für stillende Frauen, die den Beruf der Flugbegleiterin ausüben, und/oder für den Einsatz von stillenden Frauen – z.B. gemäß Verordnungen oder den nationalluftrechtlichen Vorschriften,-bestehen bislang nicht. Eine Gefährdungsbeurteilung muss allerdings sämtliche Gesundheitsgefahren mit einbeziehen, denen das weibliche Kabinenpersonal ausgesetzt ist.
In vielen Flugbetrieben diskutieren Arbeitgeber mit Betriebsräten und Personalvertretungen über diese Fragen. Nur in sehr wenigen Fällen ist bisher eine entsprechende Gefährdungsbeurteilung fertiggestellt worden. Wo keine Gefährdungsbeurteilung zu diesem Thema vorliegt, sind stillende Frauen entweder an einem Arbeitsplatz einzusetzen, für den eine Gefährdungsbeurteilung existiert oder unter voller Zahlung des Mutterschutzgeldes von der Arbeit freizustellen. Gefährdungsbeurteilungen, die bisher fertiggestellt wurden, gehen von einer erhöhten Gefährdung aus und verfügen Freistellungen der im Flugzeug beschäftigten Mütter.
Da nur selten alternative Arbeitsplätze angeboten werden können, bedeutet dies faktisch, dass momentan in Deutschland meist stillende Mütter im Flugdienst von der Arbeit befreit werden. Flugbegleiterinnen und Pilotinnen, die sich nicht sicher sind, ob eine entsprechende Gefährdungsbeurteilung existiert oder was der Inhalt ist, können sich bei ihrer
Personalvertretung bzw. bei ihrem Betriebsrat informieren oder alle Gefährdungsbeurteilungen beim Arbeitgeber einsehen.
Handlungsbedarf bei einheitlichen Standards
Wir müssen uns damit auseinandersetzen, ob eine Airline überhaupt die gesetzlich geforderte Freistellung für Stillzeiten gewährleisten kann, denn eines ist klar: Der Säugling ist – solange die Mutter fliegt – unerreichbar. Während etwa branchenweit anerkannt ist, dass die Gefährdung während der Schwangerschaft für werdende Mütter und das ungeborene Kind so signifikant ist, dass eine Befreiung von Schwangeren vom Flugdienst zwingend erfolgt, hat sich die Erkenntnis bei stillenden Müttern bisher noch nicht überall durchgesetzt. Langzeitstudien zu Auswirkungen der Strahlenbelastung und Fume-Events auf Mütter, Muttermilchqualität und damit auch auf Säuglinge sind bisher nicht verfügbar. Schon alleine Umstand, dass in fast allen deutschen Flugbetrieben seit Jahren ohne Erfolg nach einer zufriedenstellenden Lösung gesucht wird, zeigt, dass zu diesem Thema Handlungsbedarf besteht.
Die Forderung des Aircrew Alliance Health Komitees ist es deshalb, deutschlandweit eine einheitliche Regelung bezüglich stillender Mütter im Kabinenbereich, zu erreichen, die jegliche Benachteiligung von stillenden Müttern unterbindet und gleichzeitig den Schutz von Mutter und Kind gewährleistet. Wir sehen gegenwärtig den Einsatz stillender Mütter an Bord aus gesundheitlichen aber auch aus sicherheitsrechtlichen Aspekten für äußerst kompliziert an.
Wir vom Aircrew Alliance Health Komitee wünschen euch auf diesem Wege ein gesundes neues Jahr und halten euch auf dem Laufenden bezüglich der Entwicklungen.
Euer Aircrew Alliance Health Komitee
Der Einfachheit halber haben wir euch die relevanten Auszüge aus dem Mutterschutzgesetz hier gebündelt.
§ 1 Anwendungsbereich, Ziel des Mutterschutzes
(1) Dieses Gesetz schützt die Gesundheit der Frau und ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit. Das Gesetz ermöglicht es der Frau, ihre Beschäftigung oder sonstige Tätigkeit in dieser Zeit ohne Gefährdung ihrer Gesundheit oder der ihres Kindes fortzusetzen und wirkt Benachteiligungen während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit entgegen. Regelungen in anderen Arbeitsschutzgesetzen bleiben unberührt.
(4) Dieses Gesetz gilt für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend
§ 4 Verbot der Mehrarbeit; Ruhezeit
(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere oder stillende Frau, die 18 Jahre oder älter ist, nicht mit einer Arbeit beschäftigen, die die Frau über achteinhalb Stunden täglich oder über 90 Stunden in der Doppelwoche hinaus zu leisten hat. Eine schwangere oder stillende Frau unter 18 Jahren darf der Arbeitgeber nicht mit einer Arbeit beschäftigen, die die Frau über acht Stunden täglich oder über 80 Stunden in der Doppelwoche hinaus zu leisten hat. In die Doppelwoche werden die Sonntage eingerechnet. Der Arbeitgeber darf eine schwangere oder stillende Frau nicht in einem Umfang beschäftigen, der die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt des Monats übersteigt. Bei mehreren Arbeitgebern sind die Arbeitszeiten zusammenzurechnen.
(2) Der Arbeitgeber muss der schwangeren oder stillenden Frau nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewähren.
§ 5 Verbot der Nachtarbeit
(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere oder stillende Frau nicht zwischen 20 Uhr und 6 Uhr beschäftigen. Er darf sie bis 22 Uhr beschäftigen, wenn die Voraussetzungen des § 28 erfüllt sind.
§ 6 Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit
(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere oder stillende Frau nicht an Sonn- und Feiertagen beschäftigen. Er darf sie an Sonn- und Feiertagen nur dann beschäftigen, wenn
1. sich die Frau dazu ausdrücklich bereit erklärt,
2. eine Ausnahme vom allgemeinen Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen nach § 10 des Arbeitszeitgesetzes zugelassen ist,
3. der Frau in jeder Woche im Anschluss an eine ununterbrochene Nachtruhezeit von mindestens elf Stunden ein Ersatzruhetag gewährt wird und
4. insbesondere eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist.
Die schwangere oder stillende Frau kann ihre Erklärung nach Satz 2 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.
§ 7 Freistellung für Untersuchungen und zum Stillen
(1) Der Arbeitgeber hat eine Frau für die Zeit freizustellen, die zur Durchführung der Untersuchungen im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Entsprechendes gilt zugunsten einer Frau, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist.
(2) Der Arbeitgeber hat eine stillende Frau auf ihr Verlangen während der ersten zwölf Monate nach der Entbindung für die zum Stillen erforderliche Zeit freizustellen, mindestens aber zweimal täglich für eine halbe Stunde oder einmal täglich für eine Stunde. Bei einer zusammenhängenden Arbeitszeit von mehr als acht Stunden soll auf Verlangen der Frau zweimal eine Stillzeit von mindestens 45 Minuten oder, wenn in der Nähe der Arbeitsstätte keine Stillgelegenheit vorhanden ist, einmal eine Stillzeit von mindestens 90 Minuten gewährt werden. Die Arbeitszeit gilt als zusammenhängend, wenn sie nicht durch eine Ruhepause von mehr als zwei Stunden unterbrochen wird.
§ 9 Gestaltung der Arbeitsbedingungen; unverantwortbare Gefährdung
(1) Der Arbeitgeber hat bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen einer schwangeren oder stillenden Frau alle aufgrund der Gefährdungsbeurteilung nach § 10 erforderlichen Maßnahmen für den Schutz ihrer physischen und psychischen Gesundheit sowie der ihres Kindes zu treffen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls den sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Soweit es nach den Vorschriften dieses Gesetzes verantwortbar ist, ist der Frau auch während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit die Fortführung ihrer Tätigkeiten zu ermöglichen. Nachteile aufgrund der Schwangerschaft, der Entbindung oder der Stillzeit sollen vermieden oder ausgeglichen werden.
(2) Der Arbeitgeber hat die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Gefährdungen einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden und eine unverantwortbare Gefährdung ausgeschlossen wird. Eine Gefährdung ist unverantwortbar, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Eine unverantwortbare Gefährdung gilt als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird.
(3) Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass die schwangere oder stillende Frau ihre Tätigkeit am Arbeitsplatz, soweit es für sie erforderlich ist, kurz unterbrechen kann. Er hat darüber hinaus sicherzustellen, dass sich die schwangere oder stillende Frau während der Pausen und Arbeitsunterbrechungen unter geeigneten Bedingungen hinlegen, hinsetzen und ausruhen kann.
(4) Alle Maßnahmen des Arbeitgebers nach diesem Unterabschnitt sowie die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 10 müssen dem Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Hygiene sowie den sonstigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Der Arbeitgeber hat bei seinen Maßnahmen die vom Ausschuss für Mutterschutz ermittelten und nach § 30 Absatz 4 im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlichten Regeln und Erkenntnisse zu berücksichtigen; bei Einhaltung dieser Regeln und bei Beachtung dieser Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass die in diesem Gesetz gestellten Anforderungen erfüllt sind.
§ 12 Unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen für stillende Frauen
(3) Der Arbeitgeber darf eine stillende Frau keine Tätigkeiten ausüben lassen und sie keinen Arbeitsbedingungen aussetzen, bei denen sie physikalischen Einwirkungen in einem Maß ausgesetzt ist oder sein kann, dass dies für sie oder für ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt. Als physikalische Einwirkungen im Sinne von Satz 1 sind insbesondere ionisierende und nicht ionisierende Strahlungen zu berücksichtigen.
(4) Der Arbeitgeber darf eine stillende Frau keine Tätigkeiten ausüben lassen und sie keinen Arbeitsbedingungen aussetzen, bei denen sie einer belastenden Arbeitsumgebung in einem Maß ausgesetzt ist oder sein kann, dass dies für sie oder für ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt. Der Arbeitgeber darf eine stillende Frau insbesondere keine Tätigkeiten ausüben lassen
1. in Räumen mit einem Überdruck im Sinne von § 2 der Druckluftverordnung oder
2. im Bergbau unter Tage.